Nicht erst seit dem Fall Mollath wachsen die Vorbehalte gegen von Gericht bestellten Gutachten. Die wissenschaftliche Grundlage zu dieser Diskussion war im November 2013 Inhalt eine Studie zur „Begutachtungsmedizin in Deutschland am Beispiel Bayern“ im Rahmen einer Doktorarbeit an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Unser Beitrag geht auf den Artikel von Benedikt Jordan und Prof. Dr. med. Ursula Gresser (Ludwig-Maximilians-Universität München) im Deutschen Ärzteblatt aus dem Jahre 2014 zurück. Dort findet sich auch interessantes Zahlenmaterial.
Jeder vierte Gutachter aus dem medizinischen oder psychologischen Bereich hat in Bayern sogenannte Tendenz-Signale von der Justiz erhalten. Bei Psychologen ist der Anteil derer, die in Einzelfällen oder sogar häufig solche Signale bekommen haben, noch wesentlich höher als bei Medizinern. Fast jeder zweite psychologische Sachverständige hat offenbar solche Erfahrungen gemacht.
Ebenso gaben 40 % der befragten Gutachter an, mehr als die Hälfte ihrer Einnahmen aus gutachterlichen Tätigkeiten zu beziehen. Kommt diese wirtschaftliche Abhängigkeit der Gutachter dazu, ist die geforderte Objektivität nicht gegeben.
Im Streitfall sind Juristen und Gerichte auf die fachliche Kompetenz von Sachverständigen angewiesen. An dieser Stelle sind wissenschaftliche Belege dafür, dass Gutachter z.T. nicht unabhängig prüfen, sondern von vornherein wissen, was bei ihrem Gutachten herauskommen soll, weil das Gericht ihnen einen Hinweis gibt, welches Ergebnis erwartet wird, nicht hilfreich.
Die Autoren der Studie empfehlen unter anderem, Gutachter künftig per Los auszuwählen und solche Aufträge nur noch schriftlich zu vergeben, mit Kopie an alle Verfahrensbeteiligten. Mündliche Absprachen zwischen Richtern und Gutachtern sollten zudem verboten werden. Es bleibt sehr zu hoffen, dass die Ergebnisse dieser Untersuchung zu einer breiten Diskussion zwischen Gutachtern und Juristen führt, wie künftig die Objektivität, Unabhängigkeit und Neutralität der Gutachter gewahrt bleiben kann.
Dem Autor liegt aktuell ein Schreiben eines gerichtlich bestellten Sachverständigen vor, der u.a. wie folgt formuliert:
„Im Zuge der psychiatrisch gutachterlichen Beauftragung bitte ich um ein Testpsychologisches Zusatzgutachten für die Bewertung der Psychometrie, Persönlichkeit und Simulation durch Frau Diplompsychologin….“
Der Sachverständige hat sich mit der Klägerin bislang nicht persönlich unterhalten, nimmt aber bereits in seinem Schreiben Bezug auf eine mögliche „Simulation“ der Beschwerden unserer Mandantin. Auf dieser Basis ergeben sich erste Zweifel daran, ob der Sachverständige unvoreingenommen an die Begutachtung unserer Mandantin herangeht.
Seit Beginn des Verfahrens sieht sich die Klägerin dem Vorwurf der Beklagten ausgesetzt, wonach die geklagten Beschwerden tatsächlich nicht vorlägen und nur von der Klägerin vorgegeben würden. Dass dieses Ansinnen nunmehr vom Sachverständigen aufgegriffen und u.a. zum Gegenstand eines Zusatzgutachtens gemacht wird, wofür die Klägerin womöglich sogar noch einen Auslagenvorschuss zu bezahlen hat, führt dazu, dass die Klägerin kein Vertrauen mehr in die Unvoreingenommenheit des gerichtlich bestimmten Sachverständigen hat.
Vor dem Hintergrund des zitierten Artikels aus dem Deutschen Ärzteblatt mögen sich hier gewisse Zweifel bestätigen. Sicherlich kann man hier auch nicht sämtliche Gerichtsgutachten bzw. die verantwortlichen Sachverständigen „in einen Topf“ werfen. Gleichwohl könnte man den Ängsten und Befürchtungen von Parteien Gehör schenken und über die Gutachterpraxis an deutschen Gerichten zumindest (ergebnisoffen) diskutieren.
Dass dieses „Problem“ bereits seit mehreren Jahrzehnten in der Diskussion steht ergibt sich auch aus einem Zitat des seinerzeit renommierten Sachverständigen Dipl.-Ing. Karl Spange, der bereits in den 70er Jahren – im strafrechtlichen Kontext – wie folgt ausführte.
„Es ist unbefriedigend, den Zustand hinzunehmen, dass der Richter den Sachverständigen nicht versteht und sich das Urteil mit der lapidaren Feststellung abfindet, das ´überzeugende Gutachten´ des Sachverständigen habe die Schuld des Angeklagten bewiesen. Der Sachverständige vor Gericht kann nicht die Schuld des Angeklagten beweisen und der Hinweis auf das ´überzeugende Gutachten´ ist in der Regel nichts anderes als das Bekenntnis des vollkommenen Unverstandes. Die Aufgabe des Sachverständigen als Helfer des Gerichtes muss darin bestehen, die Situation klarzumachen, in der sich die Beteiligten an einem Verkehrsunfall befunden haben (…).“
Ein anderer Erfahrungsbericht eines Sachverständigen hinsichtlich der Gutachter-Praxis an deutschen Gerichten zeichnet ein ähnliches, das Vertrauen erschütterndes, Bild. Der gerichtlich bestellte Sachverständige führte aus, dass er im Rahmen eines Wahrnehmbarkeitsgutachtens bei einem Strafverfahren wegen unerlaubtem Entfernen vom Unfallort (§ 142 StGB) ein Gutachten zu erstellen hatte. Ob der Angeklagte, bei einem solchen Unfallgeschehen, den Anprall an dem „gegnerischen“ Fahrzeug wahrgenommen hatte bzw. wahrnehmen konnte, versuchte dieser im Rahmen eines Versuchs (Crashtest) zu klären. Auf die hierfür erstellte Rechnung (etwa 1500 EUR) erhielt der Sachverständige einen Anruf vom Gericht. Das Gutachten sei zu teuer gewesen man wäre an diesem Gericht nur bereit, für diese „Art“ von Gutachten einen Betrag von etwa 500,- EUR zu bezahlen. Auf den Einwand des Sachverständigen, dass er hierfür kein „vernünftiges“ Gutachten erstellen könne, erwiderte der Richter, dass der Sachverständige dann eben keine Aufträge mehr vom Gericht bekomme.
Auch dieser Fall dürfte nicht repräsentativ sein. Dennoch ließe sich diese Aufzählung von Kuriositäten hinsichtlich von Gerichtsgutachten – auch aus dem Kollegenkreis – noch beliebig erweitern. Mehr Vertrauen entstünde dadurch freilich nicht.
Es bleibt also letztlich der Sensibilität des Gerichts überlassen, ob Vertrauen und damit Akzeptanz hinsichtlich der abschließenden gerichtlichen Entscheidung, geschaffen wird.